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Wie kann man eine Lebenskrise bewältigen?

„Wenn es jemand schafft, dann Du.“ Diese Worte habe ich in den letzten zwei Jahren oft zu hören bekommen. Was hat den Menschen um mich herum das Gefühl gegeben, dass ich stark genug bin, um mit jeder weiteren Krise in meinem Leben weitestgehend alleine zurecht zu kommen? Spontan würde ich sagen, fast schon ironisch: Ich hatte einfach so viele davon. Ob ich sie alle gebraucht habe, um zu dem Menschen zu werden, der ich heute bin? Ob ich das Leben immer wieder neu herausgefordert habe? Vielleicht. Entscheidend aber ist, dass es – zumindest aus meiner Erfahrung heraus – möglich ist, Lebenskrisen zu meistern und nicht nur das, sondern sogar positive Effekte daraus mitnehmen zu können. 

Aber schauen wir uns doch erst einmal an, was man unter einer Lebenskrise versteht?

Ganz allgemein leitet sich der Begriff Krise vom griechischen Verb „krínein“ ab („trennen“, „(unter-)scheiden“). Laut Duden handelt es sich bei einer Krise um eine schwierige Lage, kritische Situation, Zeit der Gefährdung, des Gefährdetseins. Es ist aber auch per Definition eine „entscheidende Wendung“ oder ein „Wendepunkt“. 

Zunächst ist es meist eine Situation im Leben, die wir so noch nicht kennen. Daher erleben wir diese als Gefährdung und können nicht auf Erfahrungen und Lösungsansätze aus der Vergangenheit zurückgreifen. Das verunsichert und bereitet Angst. Daher sind wir nicht nur in der Situation überfordert, sondern verharren oft auch. Wir sehen keinen Weg „raus aus der Krise“. In diesem Verharren greifen die negativen Gefühle von Angst und Unsicherheit unser Innerstes an. Sie gehen uns an die Existenz. Die Krise an sich stellt unser ganzes Leben auf den Kopf oder erfordert von uns Entscheidungen, bei denen wir nicht wissen, wo uns der Kopf steht. Das Drama nimmt seinen Lauf. Dabei sind Lebenskrisen oftmals nur eine Station in unserem Leben oder wie oben schon gesagt: Wendepunkte. 

Wie entsteht eine Krise? Welche Krisen gibt es?

Eine Krise entsteht langsam schleichend oder auch blitzartig. Beide Situationen vereint, dass wir uns unwohl fühlen. Ja, wir können das verdrängen und doch. Entweder spüren wir schon lange, dass etwas „nicht stimmt“ und dies in unserem Unterbewusstsein arbeitet oder aber ein Lebensumstand zieht uns sofort den Boden unter den Füßen weg. Beide Situationen sind oft mit Gefühlen wie Ohnmacht, Angst, Blockaden und Hoffnungslosigkeit verbunden. Die sich dann wiederum in spürbaren körperlichen Beschwerden wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Appetitlosigkeit und Schlafproblemen äußern können. 

Es gibt eine Vielzahl an Krisen. Beispiele können sein: 

Trennung II Betrug II schwere Krankheiten II Unfall II Tod einer geliebten Person II Kündigung II Karriere-Ende II Schulden oder ganz allgemein die Sinnfrage. 

Von den genannten Krisen habe ich selbst einige durchgemacht. Zum einen der schleichende Prozess bei meiner letzten Festanstellung, verbunden mit der Frage: Bin ich hier gerade beim Spaziergang in der Mittagspause oder auf einer „Hofrunde im Gefängnis“? Ich habe mich unwohl gefühlt. Der Job ist mir wie eine Pflicht vorgekommen, die mich erdrückt; und dabei war doch alles in bester Ordnung: Das Unternehmen, die Kollegen, die Vergütung, der Chef. Aber ich war gefangen und dabei wollte ich doch frei sein. Was folgte: Ich kündigte, ohne einen neuen Job gehabt zu haben.  

Eine wahre Identitätskrise hatte ich dagegen beim Beenden meiner langjährigen Beziehung. Das war der Moment als ich mich selbst komplett in Frage gestellt habe. Wiederum den Boden unter den Füßen weggezogen hat mir der damalige Anruf meines Arztes: Diagnose Krebs.

Wie geht man mit Krisen um? Was tun? 

Egal welche Krise ich in meinem bisherigen Leben hatte, so war bei allen Themen eine Sache gleich: Irgendwann war ich an dem Punkt, dass ich wirklich etwas verändern und es selbst in die Hand nehmen wollte. 

Dabei hat mir geholfen, die belastende Situation erstmal als solche zu erkennen, nicht weiter zu verdrängen, sondern sie anzunehmen. Mich ihr zu stellen und zu mir selbst zu sagen: Komm in die Bewegung, damit sich etwas verändern kann. Auf eine von außen kommende Lösung zu hoffen, war mir zu vage und wenig nachhaltig. 

Bei meinen ersten Krisen hat dies alles meist noch gedauert und viel Kraft gekostet. Denn es ging oft ans Eingemachte: Es ging um mich, mein Innerstes. Wer bin ich eigentlich? Was sind meine Werte, meine Stärken und Schwächen? Welche Ängste habe ich? Was traue ich mir aktuell zu? Wo will ich hin? 

Wenn man selbst nicht mehr weiter weiß, überfordern einen diese Fragen. Noch dazu fühlen wir uns oft alleine damit. Gerade als ich ohne Job da stand, habe ich um mich herum, auch von meinen Eltern, nicht nur Verständnis erfahren. Es hat lange gedauert bis ich gemerkt habe, dass mein Gegenüber mir jeweils nur seine eigenen Ängste gespiegelt hat und es gar nicht meine Themen waren. 

Daher habe ich mir früh professionelle Hilfe in Form von Coaching und therapeutischer Beratung gesucht. Zudem hatte ich nie ein Problem damit, über meine Themen zu sprechen, mich zu öffnen und damit menschlich unperfekt zu zeigen. 

Was brauchen Menschen in Krisenzeiten? 

Diese Offenheit und Ehrlichkeit lebte ich vor allem bei meinen Freunden und meiner Familie aus. Ihnen konnte und kann ich mich bis heute so zeigen wie ich bin. Und das Wichtigste: Ich durfte immer wieder Fehler machen, Rückschläge erleiden und zwar ohne, dass sie mich dafür jemals verurteilt oder deshalb aufgegeben hätten. Sie haben mir Zeit, Unterstützung, Halt und Zuversicht geschenkt. Mich immer wieder angetrieben, meinen Weg zu gehen. 

Meine Eltern und mein Bruder waren und sind zudem mein Anker, mein Fels, meine Heimat – dieses Gefühl von bedingungsloser Liebe. Meinen Lieblingsmensch habe ich verloren, das hat mir einerseits das Herz gebrochen, aber die Liebe meines Bruders ist immer noch in mir und er mein Schutzengel, dessen bin ich mir sicher. 

Zudem hat mir sehr geholfen, mir in Krisensituationen Lebensgeschichten anderer Menschen anzuschauen, darüber zu lesen und so ein Gefühl dafür zu entwickeln, dass so vieles in unserer aller Leben möglich ist. Ich habe mich bewusst mit Positivem umgeben. Menschen und Dingen, die mich vorangebracht, mir Impulse verliehen und mich auf neue Ideen gebracht haben. Gerade bei meiner Krebsdiagnose wusste ich, jetzt gilt es: Ich bin nach einer Zeit des Schocks diese Krankheit angegangen wie ein Projekt: Wo ist der beste Arzt? Wie finde ich ihn? Wen kenne ich, der jenen kennen könnte? Wer kann mir wie helfen? Und ich habe mit Menschen gesprochen, sie um Hilfe gebeten. Nein, ich habe nicht gewartet und es geschehen lassen, sondern ich habe es selbst in die Hand genommen. Das hat mir ein komplett anderes Gefühl gegeben, als abzuwarten. Noch heute glaube ich fest daran, dass ich sonst niemals bei Professor Wallwiener in der Uniklinik Tübingen gelandet wäre – dem Besten auf dem Gebiet und für mich meine Fahrkarte in eine Zukunft. 

Aus der Lebenskrise finden.

Und genau darum geht es. Um die eigene, persönliche Zukunft. Ja, Lebenskrisen sind eine Zäsur, ein tiefer Einschnitt in das Leben wie wir es bis dato gekannt haben. Dies führt meist dazu, dass mit dem Ende der bisherigen Routine auch das Gefühl von Sicherheit verloren geht. Doch oft ist es genau dieser schmerzhafte Aufprall, der uns wachrüttelt. Uns eine Chance bietet, das eigene Leben nochmals neu zu überdenken. Meine Wege aus der Lebenskrise sind seit vielen Jahren folgende Fragen an mich: Was soll mir das sagen und bin ich noch auf dem für mich richtigen Weg? 

Und das ist der für mich entscheidende Punkt: Wenn ich selbst meinen Lebensweg gehen möchte, muss ich auch selbst in Bewegung kommen und es in die Hand nehmen. Ich darf mich wie ein Kind ausprobieren, es von mehreren Seiten beleuchten und auch Fehler machen. Ganz egal. Hauptsache ich bewege mich, denn nur so verändert sich die Situation, in der ich mich befinde und lässt mich die Lebenskrise überwinden. 

Ja, vielleicht ist dann nichts mehr so ist wie es war. Es muss deshalb aber auch nicht schlechter oder besser sein, nur eben anders. Dazu hat das Ganze einen schönen Nebeneffekt: 

Wir können uns zum einen für Neues öffnen aber auch den Wert dessen erkennen, was wir haben. Wir können dadurch die wirklich wichtigen Dinge besser sehen. Wir lernen wieder verstärkt, auf unser Gefühl und die Signale unseres Körpers zu achten. 

Wie geht man gestärkt daraus hervor?

Wenn wir eine Lebenskrise gemeistert haben, geht damit in der Regel einher, dass wir Altes abgelegt, Neues gelernt, aussortiert, ausgemistet und Klarheit gewonnen haben. Das Leben geht weiter. Aber: Wir sind über uns selbst hinausgewachsen, haben Unmögliches möglich gemacht und dadurch wahrhaftiges, von Innen kommendes Selbstbewusstsein und -vertrauen erlangt. Damit erfahren wir insgesamt mehr innere Ruhe. Nehmen wir uns selbst an. 

Mit jeder Lebenskrise und der entsprechenden Bewältigung bin ich persönlich gewachsen. Vor allem in dem Wissen, gar nicht so hilflos zu sein, sondern viel stärker wie anfangs gedacht. Damit habe ich meine Resilienz stetig weiterentwickelt und gefördert. (Resilienz von lateinisch resilire – zurückspringen, abprallen – ist der Prozess, in dem Personen auf Herausforderungen und Veränderungen mit Anpassung ihres Verhaltens reagieren) 

Heute werfen mich Lebenskrisen nicht mehr komplett aus der Bahn. Ich habe für mich selbst Methoden und Werkzeuge gefunden, mich diesen Krisen zu stellen und sie zu bewältigen. 

Auch meine Eltern lächeln heute nur noch, wenn ich ihnen von einer neuen Idee oder Veränderung erzähle, denn sie trauen es mir voll und ganz zu. Weil ich es mir selbst zutraue, mich getraut habe, diesen meinen Lebensweg zu gehen. 

In diesem meinem Leben keinen Feind zu sehen, sondern einen Lehrmeister. 

Es fängt bei einem selbst an und das ist es, worum es mir mit dieser Kolumne geht. 

Den Mut zu haben, die Hoffnung und den Glauben, dass alles in uns selbst steckt!

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Kann man im Trauerfall die „richtigen Worte“finden?

„Dort wo er jetzt ist, geht es ihm bestimmt besser“ war nur einer dieser Sätze, die ich – wohlgemerkt, lieb gemeint – zu hören bekommen habe als mein Bruder verstorben ist. Bezogen darauf, dass ihm seine schwere Krankheit die Lebensgrundlage entzogen hat, mag dieser Satz richtig sein – denn wer wünscht einem geliebten Menschen schon ein krankes Leben voller Leid und Schmerz. Schauen wir uns den Satz jedoch genauer an – neben den Fragen: Wo ist er denn jetzt? Und wer sagt, dass es ihm dort besser geht, getrennt von den liebenden Menschen, die er zurücklassen musste? – bleibt vor allem ein Gefühl haften: Hier will mich jemand trösten und mir das Gefühl geben, nicht traurig sein zu müssen. Aber gegangen ist eben nicht nur der kranke Mensch, sondern mein Herzensmensch, mit dem ich groß geworden bin, der mich bedingungslos geliebt und vor allem unterstützt hat, der Zeit meines Lebens mein großer Rückhalt war. Rational gesehen mag es stimmen, dass er nun nicht mehrleiden muss, aber emotional gesehen, zieht es einem in dem Moment den Boden unter den Füßen weg. Kann es in so einem Moment überhaupt die „richtigen Worte“ geben?

Wie verhält man sich bei einem Trauerfall im Freundeskreis?

Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort, denn jeder Mensch und jeder Trauerfall ist individuell. Aber ich möchte dazu inspirieren, einmal darüber nachzudenken, dass es im Grunde darum geht: Da zu sein. Damit ist nicht die körperliche, sondern vor allem die emotionale Anwesenheit gemeint. Das bedeutet, ehrlich zu sein und aufrichtiges Interesse zu zeigen. Das hilft dem Trauernden. Nicht jedoch, ein Pflichtanruf oder eine eben mal schnell abgeschickte Textmessage mit dem Gefühl, es hinter sich gebracht und seine Aufgabe erfüllt zu haben. Ein Mensch, der einen so schwerwiegenden und vor allem unwiderruflichen Verlust erlebt hat, kann sich genau dann nicht auch noch um die Befindlichkeiten anderer Menschen kümmern. Hier darf daher keine Erwartungshaltung seitens der Freunde vorherrschen, sondern einzig und allein nur echte und aufrichtige Anteilnahme. Denn das Wort sagt es ja schon aus: Seinen Anteil daran nehmen. Für den Trauernden hat sich mit dem Tod und dem Verlust alles verändert, er hat einen lebensverändernden Moment erlebt, einen Schockmoment, den er nie vergessen wird. Er hat viel Kraft aufgewendet, den geliebten Menschen in den Tod zu begleiten, ihn zu verabschieden und damit weiterzuleben – für den Anteilnehmenden hat sich meist nahezu nichts verändert, er hat nur von dem Schockmoment gehört und die einzige Kraft und Zeit, die er aufbringen darf ist die, aufrichtig und ehrlich da zu sein, dem Freund eine Stütze zu sein. Ja, wir umgeben uns lieber mit Menschen, die uns Kraft schenken. Aber in so einer Ausnahmesituation darf der Trauernde einfach mal schwach sein, gerade bei Freunden und gerade dann, wenn sein sonstiges Leben ihm alles abverlangt und jegliche eigene Kraft nahezu aufgebraucht ist. Mag der Trauernde für die anderen genau in so einem Moment stark erscheinen hilft oft schon, einfach einmal nachzufragen: Du scheinst stark zu sein, geht es dir auch so? Wie kann ich dich bei deinem „stark sein“ unterstützen? Und nicht: Wenn es jemand schafft, dann du – und ihn damit alleine zu lassen.

Soll man Trauernde in Ruhe lassen?

Diese Frage hängt zusammen mit der eigenen Angst, sich der Trauer des Freundes oder der Freundin zu stellen und dem Gefühl der Unsicherheit, etwas falsch zu machen. Doch genau darum geht es: Es auszuhalten. Nicht etwa dem Trauernden etwas vorzuschlagen, was letztlich nur die eigene Angst mindert. Schließlich geht es nicht um einen selbst, sondern um den anderen. Daher ist es meiner Ansicht nach das Beste, ohne eigene Interpretation einfach direkt nachzufragen: Was brauchst Du? Willst Du darüber reden? Willst Du weinen und meine Nähe spüren? Willst Du abgelenkt werden? Unser Gegenüber wird uns sagen, ob er seine Ruhe möchte oder dankbar ist für Anteilnahme und Anwesenheit. Sollte der Trauernde auf dieses Angebot in dem Moment keine Antwort haben, selbst nicht wissen was er gerade braucht, könnte das daran liegen, dass er so sehr auf sich selbst fokussiert ist mit seiner Energie, um nicht zusammenzubrechen. Hier hilft, mit einem konkreten Angebot auf ihn zuzugehen: Ich koche gerade, magst du vorbeikommen oder soll ich dir eine Suppe bringen? Ich bin einkaufen, brauchst du etwas? Wir gehen spazieren, magst du mitkommen? Wir gehen mit den Kindern raus, sollen wir Deine Kinder mitnehmen? Sollen wir mal zusammen auf den Friedhof? Wichtig ist vor allem eins, den Fokus nicht nur auf die Anfangszeit direkt nach dem Trauerfall zu legen, denn da ist meist viel los und sind viele Menschen um einen herum. Entscheidender ist die Frage: Wer fragt Wochen, gar Monate oder noch Jahre später einmal nach? Denn eins ist weder der Tod noch die Trauer: Ein temporäres Thema, das irgendwann nicht mehr da ist. Denn was sich für den einen so anfühlt als wäre es schon ewig her, ist für den, der den Verlust erlitten hat, meist noch so greifbar, nah und schmerzhaft, dass es selbst Jahre danach noch schwer ist. Meist wird das schmerzhafte Gefühl, um in der Gesellschaft weiterhin funktionieren zu können und natürlich auch zu wollen, einfach nur zur Seite geschoben.

Wie fühlt sich Trauer an?

Trauer ist ganz individuell und hat viele Facetten. Jeder Mensch trauert anders. Der eine ist still und wortkarg, der andere kann letztlich sogar Positives daraus ziehen und das eigene Leben dankbarer betrachten. Manch einer hat Angst, den Boden unter den Füßen zu verlieren, sobald er Trauer zulässt. Einen geliebten Menschen gehen zu lassen, ihn nie wieder anrufen, umarmen geschweige denn sehen zu können, hinterlässt ein Gefühl der Leere, des alleine zurückgeblieben zu sein und ganz viel Machtlosigkeit. Die damit einhergehende Trauer ist wie eine Wolke, die sich immer mal wiedervor die Sonne schiebt. Wie ein Blitz, der plötzlich ins Herz einschlägt. Wie ein Tsunami, dessen Welle sich unkontrolliert aus dem Bauchraum über die Augen entlädt. Wie Nebel, der sich langsam um einen herum ausbreitet. Oftmals ausgelöst durch einen Gedanken, eine Erinnerung, eine Sinneswahrnehmung, ein spezielles Musikstück – alles kurze Momente, die den Verlust im Kopf gewahr werden lassen und damit den Emotionen den Zutritt gewähren.

Wie kann man am besten mit Trauer umgehen?

Daher ist es auch so wichtig, den Emotionen nicht die Tür vor der Nase zuzuschlagen, sondern ihnen eine Daseinsberechtigung und einen Raum dafür zu geben. Wann und in welcher Form, das entscheidet jeder Einzelne für sich, auch angesichts seiner Lebensumstände. So war es mir vor rund 1,5 Jahren nicht möglich, mich mit dem Thema meiner Trauerbewältigung zu befassen. Zunächst gab es unfassbar viel zu regeln, zu erledigen und keine zwei Monate später wurde ich mit meiner zweiten Krebserkrankung konfrontiert und musste gegen die Krankheit und für ein Leben mit meiner Tochter kämpfen. Mag es für einen Außenstehenden so wirken, dass meine Tochter mein Sonnenschein, mein Anker und auch meine Ablenkung gewesen ist – und das war und ist sie tatsächlich – so war es dennoch unglaublich hart, zu funktionieren und meine Trauer wegzuschieben. Denn das ist keine Lösung, genau so wenig wie sie so schnell als möglich loszuwerden. Trauer geht auch nicht von alleine weg. Und Trauer ist auch nicht nur schlecht. Etwa weil sie schmerzt? Es ist nicht die Trauer an sich, sondern dass ein geliebter Mensch gestorben ist. Das was darauf folgt, ist ein heftiger Prozess, aber er hat seinen Sinn: Durch ihn lernen wir, mit unserem Verlust weiterzuleben. Trauer ist daher eher ein geschützter Raum, den man für einen kurzen Augenblick oder für längere Zeit betritt, der einen etwas von der Außenwelt abschneidet, um ganz bei sich und den Gedanken an den verstorbenen Menschen zu sein. Zu trauern heißt doch nicht, sich gehen zu lassen, nicht mehr auf die Beine zu kommen, schwach zu sein, die Kontrolle zu verlieren oder sonstige Attribute. So konnte auch ich erst in meiner Rekonvaleszenz-Phase spazieren gehen, Orte gemeinsamer Erlebnisse in Stuttgart besuchen und Erinnerungen aufkommen lassen – war da endlich der Raum, meine Gefühle bewusst zulassen zu können. Ich habe viel und immer wieder geweint, mit ihm gesprochen, mich in die Wiese an seinem Grab gesetzt und ich habe ihn gezeichnet – mit einem Bleistift. Jede Linie seines Gesichts, seine Lachfalten, seine warmen Augen – jedes noch so kleine Detail wahrgenommen, ihn nachgezeichnet und in mir verankert. Seither gehört das Trauern zu mir und in mein Leben. Es ist wie am Lebenshaus angebaut zu haben. Nein, kein Wintergarten, aber ein Trauer-Raum. Ein Ort in mir, den ich betrete wann immer mir danach ist, den ich mir jedes Mal ein Stück weit schöner einrichte und durchaus auch mal einen guten Freund mit hineinnehmen kann.

Was sagt man zu einem Trauernden?

Da wäre zunächst die Frage, was möchte ich denn sagen und aus welchem Blickwinkel betrachtet? Aus meinem eigenen oder dem des Trauernden? Sätze wie: Du musst jetzt stark sein. Die schönen Erinnerungen bleiben. Sei dankbar für das was ihr zusammen erlebt habt – die helfen nicht weiter. Denn ja, ich bin schon wochenlang stark und ja, ich bin dankbar und habe unzählige Erinnerungen – aber was genau ändert das daran, dass ich jetzt gerade traurig bin und der Tod ein Schock gewesen ist. Es geht im Gegenteil genau darum, in meinem Schmerz gehört und verstanden zu werden. Nur dann fühle ich mich auch aufgefangen. In dem Moment ist mein Gegenüber mein Spiegel, der mir hilft, die Realität des Verlustes vor Augen zu halten und nicht sie mir weg zu reden. Denn auch wenn sich das viele Menschen wünschen und unbedacht dahin sagen: Es wird nichts „wieder gut“, wenn jemand gestorben ist. Trauernde Menschen sind im wahrsten Sinne des Wortes untröstlich. Daher geht es nicht darum, sie aufzumuntern. Was sie brauchen ist eine Person, die bei ihnen bleibt und ihren Schmerz aushält. So heftig er auch sein mag. Das klingt einfach, ist es aber nicht – weil es uns schmerzt, Menschen leiden zu sehen, an denen uns etwas liegt.

Wie findet man die „richtigen Worte“?

Für mich persönlich gibt es keine richtigen Worte, nur das richtige Gefühl dahinter. Kurz innehalten, in sich reinhören und ehrlich sein. Angebote an den Trauernden nur dann zu formulieren, wenn sie auch so gemeint sind und derjenige wirklich da sein und Anteil nehmen kann. Sonst ist es allemal besser, auch einmal zuzugeben, keine Worte zu finden oder im Moment nicht da sein zu können. Mit dem Gefühl von Ehrlichkeit kann der Trauernde viel besser umgehen. Mir hat zudem geholfen, dass mir Menschen gesagt haben warum sie meinen Bruder vermissen, was sie an ihm bewundert, geliebt und in ihm gesehen haben. Was ihn hat einzigartig sein lassen. Damit haben sie ihm und auch mir eine ungeheure Wertschätzung zukommen lassen. Denn wie schon gesagt geht es nicht darum, die Trauer wegzuwischen, sondern zu begleiten. Die richtigen Worte findet man daher nur, wenn man sich seiner eigenen Angst und Unsicherheit stellt. Im Zweifel sind ein paar wenige Worte wie – es ist schlimm, unglaublich traurig -so viel tröstlicher als alles andere. Meist geht es eben nicht darum was man sagt, sondern darum, ob das wie einer von Herzen kommenden Umarmung gleicht. Denn so wusste schon Johann Wolfgang von Goethe „Es muss von Herzen kommen, was auf Herzen wirken soll.“


Worte voller Emotion. Wenn das Herz spricht.

Einer meiner Antriebe zu MIT HERZ UND ANKER war deshalb genau der, den Menschen mit Ehrlichkeit zu begegnen und mein Herz sprechen zu lassen. In unserer Gesellschaft geht es immer mehr um Individualität in jedem noch so bedeutenden Lebensmoment: Vom Baby und seiner freien Taufe mit Willkommensfeier, über die freie Trauung mit Hochzeitsfeier bis eben hin zum Tod. Gerade hier entwickelt sich immer mehr der Wunsch in Richtung freier Zeremonien mit freien Rednern und Trauerfeiern, die Lebensfeiern genannt werden. Genau an der Stelle möchte ich als Wegbegleiterin in den Tod & freie Rednerin unterstützen.

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Das Ende der Karriere vor Augen – und dann?

Erst seit dem späten 18. Jahrhundert und der zunehmend freien Berufswahl, dem Abbau von Standesprivilegien und der Entstehung von Verwaltungsorganisationen und großen Unternehmen ist es allen Menschen möglich, Karriere zu machen. Seither kann man Karrieren als den Versuch ansehen, sich eine Identität aufzubauen. Die Definition von Karriere (von französisch carrière) ist die persönliche Laufbahn eines Menschen in seinem Berufsleben. Umgangssprachlich bezeichnet der Begriff in der Regel einen beruflichen Aufstieg. Den Weg nach oben. Bedeutet das automatisch, dass es am Ende der Karriere nur noch steil bergab gehen kann?

Warum wollen Menschen Karriere machen, im Sinne des beruflichen Aufstiegs?

Der berufliche Aufstieg wird mit Erfolg gleichgesetzt, dem positiven Ergebnis einer Bemühung. Die darin liegt, mit seiner ausgeübten Arbeit und in der Regel viel Engagement, Fleiß und Ehrgeiz zu einem der Besten in dem Bereich zu werden. Bestenfalls ist es eine Arbeit, die einem Spaß macht sowie eigene Talente fördert und Leidenschaften herausfordert. Angefangen bei der Ausbildung, über das Studium, Weiterbildungen bis hin zum täglichem Learning geht es letztlich darum, immer besser zu werden und weiter zu kommen. Karrieren können geplant und manchmal auch gefördert werden. Ob sich die Tür zur nächsten Karriere-Stufe nach oben wirklich öffnet, entscheiden dagegen oft Faktoren wie: An seine Vision zu glauben, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, Fürsprecher zu haben, gesehen zu werden, sich gut präsentieren und überzeugen zu können sowie passende, persönliche Lebensumstände zu haben. Diese Meilensteine, das heißt Momente, in denen sich der weitere Weg entscheidet gehen einher mit externer Bestätigung der eigenen Persönlichkeit, Glücksgefühlen, Einfluss, Macht, finanziell lukrativen Einkünften, gesellschaftlichem Ansehen und sind dadurch auch Antrieb für immer mehr und immer weiter.

Was bringt der Weg nach oben mit sich?

Stehen zu Beginn der Karriere noch Leidenschaft und Freude im Vordergrund und ist das Interesse an der eigenen Person minimal, ändert sich dies mit zunehmendem Aufstieg: Leistungsdruck und Erwartungen steigen. Auf den obersten Stufen der Leiter steht der Karriere-Mensch plötzlich im Mittelpunkt. Sein Verhalten – auch in der Öffentlichkeit – wird kritisch beobachtet. Seine Familie muss sich immer mehr nach seiner verfügbaren Zeit richten, seine Kollegen erwarten von ihm Teamplayer zu sein und seine Geschäftspartner kluge und oftmals harte Entscheidungen. Was alle diese Menschen vereint: Sie müssen Entscheidungen treffen, oft schnell und nahezu immer mit weitreichenden Konsequenzen. Auch für die eigene Karriere. Worüber jedoch meist nicht mehr frei entschieden werden kann, ist der Tagesablauf. Die Tage sind durch getaktet, vieles fremd bestimmt und vorgegeben. Bei einem Fußball-Profi reicht das sogar soweit, dass ihm gesagt wird, welches Outfit er anzuziehen und wann er zu schlafen hat. Dafür sind erfolgreiche Menschen gefragt. Der Unternehmer wird um seine Kontakte, Einflussmöglichkeiten und seine Machtposition beneidet, während mit dem Leben eines Fußball-Profis von außen betrachtet der gelebte Traum verkörpert wird. Den Verzicht auf der anderen Seite, gescheiterte Beziehungen, der Erfolgsdruck und Grenzüberschreitungen in Bezug auf die körperliche Gesundheit werden nicht gesehen. Das Geld möge doch dafür das entsprechende Pflaster sein – mag für den Außenstehenden so wirken, ist aber keinesfalls der alleinige Antrieb. Der liegt meist darin, dass es immer wieder aufs Neue eine Challenge ist, sich zu beweisen, mit anderen zu messen und sein Bestes zu geben. Die Glücksdroge heißt: Erfolg und Bestätigung.

Was, wenn die Karriere zu Ende geht?

Kommt es dagegen zum Karriere-Ende ist es als hätte uns jemand diese Glücksdroge entzogen. Vor allem dann, wenn dieser Moment nicht selbstbestimmt eingetreten ist, etwa durch eine bewusste Entscheidung am gefühlten Karriere-Höhepunkt oder aufgrund des Alters aufzuhören, sondern wenn Krankheit/Verletzung oder Kündigung/ausbleibende Vertragsverlängerung dazu führen, dass die Karriere abrupt, ernüchternd oder traurig endet. So sehr eine selbstbestimmte und bewusste Entscheidung sich von der Karriere zu verabschieden positiv besetzt sein kann. So schwierig ist es in doppelter Hinsicht bei Krankheit oder Verletzung. Hier muss nun nicht nur gegen die Krankheit gekämpft werden, sondern auch mit Gefühlen des Scheiterns sowie Existenzängsten. Eine ausbleibende Vertragsverlängerung oder Kündigung können sich schleichend ankündigen oder abrupt einsetzen. So oder so ist beides erstmal negativ besetzt, da der Selbstwert erschüttert wird. Einhergehend damit, dass die Tatsache im Mittelpunkt zu stehen sowie Bedeutung und Ansehen in der Öffentlichkeit zu genießen recht schnell verloren gehen. Was bleibt ist ein Gefühl von, nicht mehr gebraucht zu werden.

Was kommt nach der Karriere?

Ganz egal wie die Karriere zu Ende gegangen ist, bleibt allen gleich, dass das „alte berufliche Leben“ nicht mehr existiert. Damit einhergehend steht eine große Unbekannte vor der Tür: Die Leere. Diese Leere hängt aber nicht nur mit der fehlenden Aufgabe zusammen, sondern auch damit, im Business nicht mehr wichtig zu sein. Türen öffnen sich nicht mehr von alleine, beim Edel-Italiener wird nicht mehr automatisch ein Tisch frei geräumt, kurzum: Es wird einem weniger bis kaum noch Beachtung geschenkt. Das kann die eigene Identität in Frage stellen. Diese Leere von außen zu füllen, verpufft oftmals viel zu schnell. Geht es jetzt doch genau darum, diese Leere durch jeden Einzelnen selbst und nachhaltig zu befüllen.

Quo vadis?

Die einen sind dankbar, endlich das tun zu können wofür viele Jahre keine Zeit war: Den Tag selbst zu gestalten, zu reisen, Zeit mit der Familie zu verbringen und durch zu schnaufen. Andere widmen sich der Wunsch Erfüllung oder der Verbesserung des Golf-Handicaps. Viele entscheiden sich auch dafür, weiterhin unternehmerisch aktiv zu sein, in dem sie in Start ups investieren, sich weiterbilden oder eine neue Aufgabe im bisherigen Berufsumfeld finden. Egal, für welchen Weg sich der Einzelne entscheidet, selbst nach einer Zeit des Reisens, des sich Ausprobierens oder des einfach mal Abwartens taucht irgendwann – bewusst oder unbewusst – die Frage auf: Wo stehe ich jetzt, wie geht es mir damit und wie geht es weiter für mich? Dieser Blick nach innen birgt eine große Chance, die im Karriere Ende verborgen liegt. Der Wegfall des bisherigen Weges eröffnet neue Möglichkeiten. Nach vielen Jahren des doch auch unterbewussten Funktionierens auf höchster Ebene, dürfen jetzt Fragen gestellt werden wie: Was steckt noch in mir? Was wollte ich schon immer mal machen? Was ist mir wichtig? Wie kann ich mein Potenzial so entfalten, dass sich mein weiteres Leben gut und richtig für mich selbst anfühlt? Bei alledem mit einem entscheidenden Vorteil zum Anfang der Karriere.

Der Spaß darf im Vordergrund stehen, die Leidenschaft und das ohne Erwartungshaltung oder Erfolgsdruck. Die Anreize sind weniger bedeutend, da alles schon mal erlebt wurde und bestenfalls spielt das Geld verdienen nur noch eine untergeordnete Rolle. Allerdings ist es nicht einfach, Antworten auf diese Fragen zu finden. Was nicht heißt, dass derjenige ein Problem hat und Hilfe benötigt, aber es ist wie bei einem verborgenen Schatz, der im Laufe der Karriere immer mehr in den Hintergrund gerückt ist und den es zu bergen gilt. Hierbei kann es hilfreich sein, Impulse von außen zu bekommen. Durch Freunde, Familie, Wegbegleiter oder einen neutralen Coach. All das schafft mehr Klarheit. Geht es jetzt doch darum, etwas Nachhaltiges zu finden. Etwas, bei dem das eigene Herz mitschwingt.

Wichtig ist, den Erfolg in sich selbst zu finden, nicht im Außen. Den Blick nach innen zu richten. Geht es jetzt doch ganz klar um die eigene Identität; und das nicht auf beruflicher Ebene, sondern um die Echtheit der eigenen Person. Das Gefühl, sich selbst als echte Einheit wahrzunehmen, sich selbst wieder wichtig zu finden und zu fühlen. Seine eigene Persönlichkeit zu leben. Wenn dies gelingt, ist die Karriere weder nur der berufliche Aufstieg, noch das Karriere-Ende ein steiler Abstieg. Dann heißt es, neue Ziele zu definieren und den Blick nach vorne zu richten. Wie beim Bergsteigen: Wir fangen unten an, gehen den Berg hoch bis nahe zum oder ganz hoch zum (Karriere-)Gipfel – oben angekommen, geht es wohl ein kleines Stück runter, aber nicht um wieder am Ausgangspunkt zu landen, sondern um Kraft zu tanken für den erneuten Aufstieg. Nämlich auf einen Berg, den wir uns bewusst ausgesucht haben, auf den wir nicht getrieben werden, sondern dessen Aufstieg wir schlichtweg genießen.

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Wie kann man einen sterbenden Menschen in den Tod begleiten?

Die Themen Sterben und Tod haben zuletzt die Medien geflutet. Selbst Netflix widmete mit „Das letzte Wort“ (u.a. mit Anke Engelke) dem Thema Tod insgesamt 6 Folgen. Natürlich beschäftigen wir uns lieber mit den schönen Dingen des Lebens. Was aber, wenn plötzlich ein Schicksalsmoment kommt und wir nicht darauf vorbereitet sind? Als mir heute vor 2 Jahren mein Bruder die Schreckensdiagnose Glioblastom (bösartiger Hirntumor) mitteilte, war ich weit davon entfernt zu begreifen, zu verstehen und zu realisieren, dass wir ihn schon ein halbes Jahr später in den Tod begleiten werden – geschweige denn, dass ich wusste wie das geht. Letztlich glaube ich immer noch, dass wir als Familie viel richtig machten, in dem wir auf unser Gefühl gehört und aus Liebe gehandelt haben. Dennoch hätte ich gerne schon früher gewusst, was „palliativ“ bedeutet und was die finale Sterbephase ist. All das hätte nichts verändert in seinem Sterbeprozess – aber mit mehr Wissen und Verständnis hätte ich noch bewusster für ihn da sein können und letztlich auch für meine Familie und mich selbst. Warum also sollten wir uns nicht einmal damit beschäftigen, wie man einen sterbenden Menschen in den Tod begleitet?

Mit dem Wissen, dass ein Glioblastom meistens tödlich endet, saßen wir zusammen und waren erstmal wütend und schlichtweg desillusioniert: Wie kann so etwas möglich sein. Gerade haben wir noch Weihnachten gefeiert und jetzt das: Zusammenbruch, Fahrt ins Krankenhaus und eine Diagnose, die alles veränderte – vor allem, weil sie ihm und uns direkt den Weg zur Hoffnung abgeschnitten haben. An der Weggabelung zum Leben stand ein STOPP-Schild: Keine Weiterfahrt möglich. Nur noch der Abgrund – ohne zu wissen, wie weit dieser noch entfernt war. Ja, wir haben uns darüber unterhalten, welche medizinischen Maßnahmen wir ergreifen oder unterlassen und dass er nach seinem Tod verbrannt werden möchte. Aber nein, da stellten wir ihm nicht die Frage, wie er in den Tod begleitet werden möchte –wir wussten es ja selbst nicht. Woher denn auch! Wir waren nicht darauf vorbereitet. Zudem ging es täglich erstmal um unfassbar viel Papierkram, unzählige Termine im Krankenhaus, bei Ärzten und sozialen Einrichtungen. Da war alles andere noch weit weg.

Wann beginnt das Begleiten und was bedeutet es zu begleiten?

Untersuchungen, Operationen, Befunde und die Diagnose mit den Worten „Ach, sie wissen noch nicht, dass sie nicht mehr lange zu leben haben.“ Unvorstellbar; und doch ist es genau so geschehen. Deshalb ist das für mich der Moment! Ab jetzt heißt es: Begleiten. Was für ein Schlag ins Gesicht. Ein K.O. ohne Ansage für den Betroffenen. Als hätte jemand Dir den Lebens Stecker gezogen, einfach so mit „Hey, Dein Licht ist aus.“ Jetzt heißt es erstmal im Dunkeln zu sitzen und damit klar zu kommen. Alle Menschen, die mit einer derartigen Diagnose konfrontiert sind, haben meinen größten Respekt. Wer weiß von sich, ob er sich in dieser tiefsten und dunkelsten Stunde seines Lebens nicht aufgeben würde? Genau deshalb setzt meiner Ansicht nach hier das Begleiten ein. Was das heißt lässt sich nicht pauschal formulieren, da jede Lebenssituation anders ist, jeder Mensch anders denkt, fühlt und handelt. Es ist auch eine persönliche Entscheidung wie weit der Begleiter gehen kann und möchte. Aus meiner Sicht gehört zum guten Begleiten, authentisch zu bleiben und seine eigenen Grenzen zu überwinden. Mein Bruder hatte die ganze Zeit über seine wundervolle Frau an seiner Seite. Es ist ein Akt der reinsten Liebe, denn hier wird nur noch an das Wohl des Anderen gedacht und danach gehandelt. Daher empfehle ich dem Begleiter, sich für die eigenen Emotionen, Kräfte und persönlichen Momente des Schmerzes einen Anker zu suchen.

Wie kann man einen Sterbenden begleiten?

Meiner Ansicht nach vor allem damit: Da zu sein – aufrichtig und authentisch. Was es noch sein kann – und das hier ist nur eine kleine Auswahl: Verständnis zeigen, Geduld aufbringen, zu Terminen begleiten, eine angenehme Atmosphäre schaffen, Wünsche erfüllen, im immer schwieriger werdenden Alltag begleiten, bei der Körperpflege und -hygiene unterstützen, Wutanfälle aushalten, Rückschläge wegstecken, zuhören, hinschauen, anpacken, weinen, lachen, spazieren gehen, im Rollstuhl schieben und realisieren, dass der geliebte Mensch sich in seinem Wesen, Aussehen und Verhalten verändert. Denn in einem Moment, in dem Du Deine ganze positive Energie und Liebe gibst, kann es Dir passieren, dass sich der Sterbende heftig mit Dir streitet. Du verstehst die Welt nicht mehr. Der Sterbende aber will Dir damit den Abschied „leichter“ machen. Es sind Ausnahmezustände, von denen wir uns im normalen Alltag kein Bild machen können.

Ihr fragt euch, was Sterbende brauchen?

Mit dem Fortschreiten der Erkrankung wird eine Sache immer schwieriger: Den Sterbenden direkt danach fragen zu können, was er braucht. Gerade bei einem Glioblastom ist diese Kommunikation irgendwann nicht mehr möglich. Es kommen keine Antworten mehr. Was dann noch hilft: Auf kleine Zeichen zu achten. Denn was die Sterbenden in der Regel bis zum Ende können ist: hören! Also sollte man sie direkt fragen was sie brauchen. Es geht schließlich darum was ihnen hilft und nicht uns als Begleiter. Seid da, schenkt ihm Nähe, Körperkontakt, zeigt ehrliche Gefühle, aufrichtiges Interesse und bleibt offen in eurer Wahrnehmung. Vor allem hört nicht auf mit ihm zu sprechen und ihn weiter Anteil an eurem Leben haben zu lassen.

Quo vadis: Palliativstation, Hospiz oder zu Hause?

Ist die Erkrankung soweit fortgeschritten, dass keine Therapie mehr helfen kann, steht die Entscheidung an, den Sterbenden auf einer Palliativstation im Krankenhaus, im Hospiz oder zu Hause weiter zu begleiten. Jetzt geht es einzig und alleine nur noch darum, es ihm so angenehm wie möglich zu machen und auf seine verbleibende Würde zu achten. Unabhängig vom gewählten Ort, setzt in allen drei Fällen die Palliativ Versorgung ein. Ein spezielles Team aus Ärzten, Pflegekräften, Sozialarbeitern und Seelsorgern, ergänzt um ehrenamtliche Helfer sind rund um die Uhr verfügbar und unterstützen sowohl den Betroffenen als auch seine Angehörigen. Es entsteht eine außergewöhnliche Atmosphäre, die in dem Wissen um das Endliche einem warmen aber vernebelten Herbsttag gleicht. In einer Zeit der heftigsten Emotionen und der unfassbaren Klarheit um den Verlust, ist diese Begleitung eine wundervolle Unterstützung für alle. Hatte ich bis zu dem Zeitpunkt überhaupt keine Vorstellung davon, was Palliativ-Care bedeutet, so wurde mir auf einmal bewusst, wie wichtig und hilfreich diese Arbeit ist und wie sehr wir alle im Schicksalsmoment davon profitieren können.

Das Begleiten geht in die traurigste und schwierigste Phase über.

„Machen sie sich darauf gefasst, dass es noch dieses Wochenende passieren kann.“ waren die Worte der Palliativ-Pflegerin an einem Freitagnachmittag. Sie hatte das Todesdreieck in seinem Gesicht gesehen. Am Abend des darauffolgenden Tages war der Moment da, von dem wir wussten, dass er kommen wird. Wir hatten losgelassen, wollten ihm ein längeres Leiden und Festhalten ersparen und dachten vielleicht, darauf vorbereitet zu sein. Aber auf das was zwischen Freitagnachmittag und Samstagabend passiert ist, war niemand von uns vorbereitet. In mehreren Phasen löste sich die Lebensenergie aus seinem physischen Körper. Jede der 5 Phasen (Erde,
Wasser, Feuer, Luft und Raum) war gekennzeichnet von bestimmten Symptomen, die er innerlich empfand, die aber wir als Außenstehende beobachten konnten. Wir wussten zu dem Zeitpunkt aber noch nichts davon – daher war da ein Gefühl von Hilflosigkeit. Dabei wollten wir ihm helfen, ihm jegliches Leid ersparen, ihn irgendwie hinübertragen. Alles was wir zu dem Zeitpunkt tun konnten: Rund um die Uhr an seiner Seite zu sein, seine Hände zu halten, ihm wenige aber bewusste Worte zu sagen und ihm all unsere Liebe zu schenken.

Und dann ist er da, der letzte Atemzug eines geliebten Menschen. Es ist als würde jemand einen Film anhalten, das eigene Herz für ein bis zwei Sekunden ebenfalls stillstehen. Wie das Aufwachen aus einem Traum, irritiert, ob es sich um einen Traum handelt: Die Erkrankung, das Begleiten, das Loslassen, die Angst, der Verlust. Nein, kein Traum. Es ist das wahre Leben oder besser gesagt das Ende eines Lebens. Denn in dem Moment verabschieden wir uns nicht einfach von einem kranken Menschen, sondern realisieren das Lebensende eines geliebten Menschen. Nichts worauf wir uns emotional wirklich vorbereiten könnten

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IST ES VERRÜCKT, IN ZEITEN VON COVID-19 EIN NEUES BUSINESS AUFZUBAUEN?

2020 ist durch Covid-19 geprägt von Ängsten und Sorgen. Ein Lockdown hat dazu geführt, dass mit einem Mal nichts mehr so war wie wir alle es bis dato gekannt hatten. Worte wie Vereinsamung, Existenzängste, wirtschaftliche Krisen und unklare Zukunftsperspektiven drängten sich in unser Bewusstsein. Klingt es verrückt, gerade in dieser Zeit ein neues Unternehmen zu starten?

Wohl ja, wenn ich mir zudem noch meine Voraussetzungen anschaue: Krank geschrieben und immer noch geschwächt nach meiner Radio-Chemo-Therapie. Zudem mit meiner Tochter alleine zuhause, nachdem wegen Covid-19 alle Kitas geschlossen hatten. Andererseits lagen genau darin auch Chancen verborgen, die ich als solche erkannte. Ich hatte die Zeit, in Bewegung zu kommen. Fast täglich. Mein Waldspaziergang. 1 Stunde lang. Neben der Schönheit der Jahreszeiten entdeckte ich etwas noch viel Faszinierenderes: Die Schätze in mir. Im Innehalten konnte ich herausfinden, was in mir ist und sich seinen Weg sucht. Was aktuell gelebt werden möchte. Was mir neuen Sinn verleiht. Denn das war es, was mich angetrieben hat. Meinem Leben wieder neue körperliche, geistige und seelische Kraft zu verleihen.

Ich führte in der Zeit zahlreiche Gespräche mit Freunden und Unternehmern. Erste Gedanken zu meiner selbständigen, beruflichen Zukunft äußerte ich noch zögerlich und bekam gut gemeinte Ratschläge sowie sorgenvolle Bedenken. Kaum verwunderlich, dass mir zeitglich interessante Jobangebote unterbreitet wurden. Wäre das Angestelltenverhältnis in meiner Situation und angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage nicht die bessere Entscheidung? Ich verfolgte diese Option; und doch war es letztlich so, dass die Energie dahinter fehlte. Gespräche verliefen im Sand, Inhalte musste wegen Covid-19 verworfen werden und ich spürte, dass es hier nicht weitergehen würde für mich.
So bin ich immer wieder zu meinem Herzen zurückgekommen und habe mich gefragt, was ich wirklich will. Unzählige Seiten wurden beschrieben, Konzepte entstanden mit Ideen, Wünschen und Möglichkeiten – ohne dabei genau zu wissen, was ich denn nun wirklich machen möchte.

Ist es am Ende das Schicksal oder der Glaube an einen selbst? Für mich ist es der Glaube, durch den sich Türen öffnen und Wege aufzeigen, die dann zum Schicksal werden. Und vor allem die Erfahrungen aus der Vergangenheit. Das ist für mich der wahre Reichtum, den wir besitzen und der uns so vieles ermöglicht. Mein Learning war unter anderem, nicht mehr alles alleine zu machen, sondern mir von Anfang an Hilfe von Profis dazu zu nehmen, denen ich zudem auf menschlicher Ebene vertraute. Ihnen präsentierte ich meine Ideen, zog mich gefühlt aus vor Ihnen und stand da mit dem Gefühl: Ok, entweder es ist totaler Schrott oder es steckt eine Chance darin. Es war eine Möglichkeit und zwar die, mit der Kraft, den Ideen und Rückmeldungen aller Beteiligten weiter zu wachsen und mein Konzept reifen zu lassen und zu verfeinern. Und dann passiert etwas so Wundervolles, das sich im Nachhinein nicht mehr beschreiben geschweige denn der Zeitpunkt genau beziffern lässt: Auf einmal ist alles ganz klar! Die Idee, der Weg und das Ziel.

Soweit so gut. Doch das sollte nicht alles sein, denn auch mein Körper meldete sich zu Wort. Er streikte. Ein ums andere Mal. Zeigte mir mit einer Deutlichkeit meine Grenzen auf, dass ich das Gefühl hatte, nichts aus den letzten beiden Jahren gelernt zu haben und mir ernsthafte Sorgen machte. Warum passierte das? Was war die Botschaft: Ich kämpfte immer noch gegen mich selbst. Meinen Anspruch an mich. Meine Geschwindigkeit, mit der ich meine Ziele in die Tat umsetzen wollte. Dabei sollte ich lernen, mich mit meinem Körper zu verbinden und meine Grenzen zu achten.

Vor allem weil sich die Idee immer noch 100 Prozent richtig für mich anfühlt. Ich zudem in Begegnungen erlebe, dass ich auf dem für mich richtigen Weg bin mit dem Aufbau von „mit Herz und Anker“. Ich glaube an den Erfolg, ich spüre meine Kraft und innere Stärke. Und genau deshalb kann ich nur sagen, dass es egal ist, ob bedingt durch Covid-19 das Jahr 2020 als Krisenzeit in die Geschichte eingehen wird. Es ist dann die richtige Zeit für ein neues Business, wenn ich das Gefühl habe, dass es authentisch und richtig ist, wenn die Energie dahinter stimmt, die eigene Stärke spürbar ist und ich mich irgendwie –trotz Widrigkeiten – getragen fühle. Ich habe keine Angst, denn es wird auf jeden Fall wieder für etwas gut sein und wenn es nur die Erfahrung ist, die meine Seele machen möchte. Daher bin ich offen für die Zukunft, freue mich auf alles was kommt, auf viele neue Begegnungen und darauf, was ich selbst noch lernen darf und werde. Mehr denn je habe ich das Gefühl, dass „mit Herz und Anker“ gebraucht wird und jetzt meine Zeit dafür ist.