„Wenn es jemand schafft, dann Du.“ Diese Worte habe ich in den letzten zwei Jahren oft zu hören bekommen. Was hat den Menschen um mich herum das Gefühl gegeben, dass ich stark genug bin, um mit jeder weiteren Krise in meinem Leben weitestgehend alleine zurecht zu kommen? Spontan würde ich sagen, fast schon ironisch: Ich hatte einfach so viele davon. Ob ich sie alle gebraucht habe, um zu dem Menschen zu werden, der ich heute bin? Ob ich das Leben immer wieder neu herausgefordert habe? Vielleicht. Entscheidend aber ist, dass es – zumindest aus meiner Erfahrung heraus – möglich ist, Lebenskrisen zu meistern und nicht nur das, sondern sogar positive Effekte daraus mitnehmen zu können.
Aber schauen wir uns doch erst einmal an, was man unter einer Lebenskrise versteht?
Ganz allgemein leitet sich der Begriff Krise vom griechischen Verb „krínein“ ab („trennen“, „(unter-)scheiden“). Laut Duden handelt es sich bei einer Krise um eine schwierige Lage, kritische Situation, Zeit der Gefährdung, des Gefährdetseins. Es ist aber auch per Definition eine „entscheidende Wendung“ oder ein „Wendepunkt“.
Zunächst ist es meist eine Situation im Leben, die wir so noch nicht kennen. Daher erleben wir diese als Gefährdung und können nicht auf Erfahrungen und Lösungsansätze aus der Vergangenheit zurückgreifen. Das verunsichert und bereitet Angst. Daher sind wir nicht nur in der Situation überfordert, sondern verharren oft auch. Wir sehen keinen Weg „raus aus der Krise“. In diesem Verharren greifen die negativen Gefühle von Angst und Unsicherheit unser Innerstes an. Sie gehen uns an die Existenz. Die Krise an sich stellt unser ganzes Leben auf den Kopf oder erfordert von uns Entscheidungen, bei denen wir nicht wissen, wo uns der Kopf steht. Das Drama nimmt seinen Lauf. Dabei sind Lebenskrisen oftmals nur eine Station in unserem Leben oder wie oben schon gesagt: Wendepunkte.
Wie entsteht eine Krise? Welche Krisen gibt es?
Eine Krise entsteht langsam schleichend oder auch blitzartig. Beide Situationen vereint, dass wir uns unwohl fühlen. Ja, wir können das verdrängen und doch. Entweder spüren wir schon lange, dass etwas „nicht stimmt“ und dies in unserem Unterbewusstsein arbeitet oder aber ein Lebensumstand zieht uns sofort den Boden unter den Füßen weg. Beide Situationen sind oft mit Gefühlen wie Ohnmacht, Angst, Blockaden und Hoffnungslosigkeit verbunden. Die sich dann wiederum in spürbaren körperlichen Beschwerden wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Appetitlosigkeit und Schlafproblemen äußern können.
Es gibt eine Vielzahl an Krisen. Beispiele können sein:
Trennung II Betrug II schwere Krankheiten II Unfall II Tod einer geliebten Person II Kündigung II Karriere-Ende II Schulden oder ganz allgemein die Sinnfrage.
Von den genannten Krisen habe ich selbst einige durchgemacht. Zum einen der schleichende Prozess bei meiner letzten Festanstellung, verbunden mit der Frage: Bin ich hier gerade beim Spaziergang in der Mittagspause oder auf einer „Hofrunde im Gefängnis“? Ich habe mich unwohl gefühlt. Der Job ist mir wie eine Pflicht vorgekommen, die mich erdrückt; und dabei war doch alles in bester Ordnung: Das Unternehmen, die Kollegen, die Vergütung, der Chef. Aber ich war gefangen und dabei wollte ich doch frei sein. Was folgte: Ich kündigte, ohne einen neuen Job gehabt zu haben.
Eine wahre Identitätskrise hatte ich dagegen beim Beenden meiner langjährigen Beziehung. Das war der Moment als ich mich selbst komplett in Frage gestellt habe. Wiederum den Boden unter den Füßen weggezogen hat mir der damalige Anruf meines Arztes: Diagnose Krebs.
Wie geht man mit Krisen um? Was tun?
Egal welche Krise ich in meinem bisherigen Leben hatte, so war bei allen Themen eine Sache gleich: Irgendwann war ich an dem Punkt, dass ich wirklich etwas verändern und es selbst in die Hand nehmen wollte.
Dabei hat mir geholfen, die belastende Situation erstmal als solche zu erkennen, nicht weiter zu verdrängen, sondern sie anzunehmen. Mich ihr zu stellen und zu mir selbst zu sagen: Komm in die Bewegung, damit sich etwas verändern kann. Auf eine von außen kommende Lösung zu hoffen, war mir zu vage und wenig nachhaltig.
Bei meinen ersten Krisen hat dies alles meist noch gedauert und viel Kraft gekostet. Denn es ging oft ans Eingemachte: Es ging um mich, mein Innerstes. Wer bin ich eigentlich? Was sind meine Werte, meine Stärken und Schwächen? Welche Ängste habe ich? Was traue ich mir aktuell zu? Wo will ich hin?
Wenn man selbst nicht mehr weiter weiß, überfordern einen diese Fragen. Noch dazu fühlen wir uns oft alleine damit. Gerade als ich ohne Job da stand, habe ich um mich herum, auch von meinen Eltern, nicht nur Verständnis erfahren. Es hat lange gedauert bis ich gemerkt habe, dass mein Gegenüber mir jeweils nur seine eigenen Ängste gespiegelt hat und es gar nicht meine Themen waren.
Daher habe ich mir früh professionelle Hilfe in Form von Coaching und therapeutischer Beratung gesucht. Zudem hatte ich nie ein Problem damit, über meine Themen zu sprechen, mich zu öffnen und damit menschlich unperfekt zu zeigen.
Was brauchen Menschen in Krisenzeiten?
Diese Offenheit und Ehrlichkeit lebte ich vor allem bei meinen Freunden und meiner Familie aus. Ihnen konnte und kann ich mich bis heute so zeigen wie ich bin. Und das Wichtigste: Ich durfte immer wieder Fehler machen, Rückschläge erleiden und zwar ohne, dass sie mich dafür jemals verurteilt oder deshalb aufgegeben hätten. Sie haben mir Zeit, Unterstützung, Halt und Zuversicht geschenkt. Mich immer wieder angetrieben, meinen Weg zu gehen.
Meine Eltern und mein Bruder waren und sind zudem mein Anker, mein Fels, meine Heimat – dieses Gefühl von bedingungsloser Liebe. Meinen Lieblingsmensch habe ich verloren, das hat mir einerseits das Herz gebrochen, aber die Liebe meines Bruders ist immer noch in mir und er mein Schutzengel, dessen bin ich mir sicher.
Zudem hat mir sehr geholfen, mir in Krisensituationen Lebensgeschichten anderer Menschen anzuschauen, darüber zu lesen und so ein Gefühl dafür zu entwickeln, dass so vieles in unserer aller Leben möglich ist. Ich habe mich bewusst mit Positivem umgeben. Menschen und Dingen, die mich vorangebracht, mir Impulse verliehen und mich auf neue Ideen gebracht haben. Gerade bei meiner Krebsdiagnose wusste ich, jetzt gilt es: Ich bin nach einer Zeit des Schocks diese Krankheit angegangen wie ein Projekt: Wo ist der beste Arzt? Wie finde ich ihn? Wen kenne ich, der jenen kennen könnte? Wer kann mir wie helfen? Und ich habe mit Menschen gesprochen, sie um Hilfe gebeten. Nein, ich habe nicht gewartet und es geschehen lassen, sondern ich habe es selbst in die Hand genommen. Das hat mir ein komplett anderes Gefühl gegeben, als abzuwarten. Noch heute glaube ich fest daran, dass ich sonst niemals bei Professor Wallwiener in der Uniklinik Tübingen gelandet wäre – dem Besten auf dem Gebiet und für mich meine Fahrkarte in eine Zukunft.
Aus der Lebenskrise finden.
Und genau darum geht es. Um die eigene, persönliche Zukunft. Ja, Lebenskrisen sind eine Zäsur, ein tiefer Einschnitt in das Leben wie wir es bis dato gekannt haben. Dies führt meist dazu, dass mit dem Ende der bisherigen Routine auch das Gefühl von Sicherheit verloren geht. Doch oft ist es genau dieser schmerzhafte Aufprall, der uns wachrüttelt. Uns eine Chance bietet, das eigene Leben nochmals neu zu überdenken. Meine Wege aus der Lebenskrise sind seit vielen Jahren folgende Fragen an mich: Was soll mir das sagen und bin ich noch auf dem für mich richtigen Weg?
Und das ist der für mich entscheidende Punkt: Wenn ich selbst meinen Lebensweg gehen möchte, muss ich auch selbst in Bewegung kommen und es in die Hand nehmen. Ich darf mich wie ein Kind ausprobieren, es von mehreren Seiten beleuchten und auch Fehler machen. Ganz egal. Hauptsache ich bewege mich, denn nur so verändert sich die Situation, in der ich mich befinde und lässt mich die Lebenskrise überwinden.
Ja, vielleicht ist dann nichts mehr so ist wie es war. Es muss deshalb aber auch nicht schlechter oder besser sein, nur eben anders. Dazu hat das Ganze einen schönen Nebeneffekt:
Wir können uns zum einen für Neues öffnen aber auch den Wert dessen erkennen, was wir haben. Wir können dadurch die wirklich wichtigen Dinge besser sehen. Wir lernen wieder verstärkt, auf unser Gefühl und die Signale unseres Körpers zu achten.
Wie geht man gestärkt daraus hervor?
Wenn wir eine Lebenskrise gemeistert haben, geht damit in der Regel einher, dass wir Altes abgelegt, Neues gelernt, aussortiert, ausgemistet und Klarheit gewonnen haben. Das Leben geht weiter. Aber: Wir sind über uns selbst hinausgewachsen, haben Unmögliches möglich gemacht und dadurch wahrhaftiges, von Innen kommendes Selbstbewusstsein und -vertrauen erlangt. Damit erfahren wir insgesamt mehr innere Ruhe. Nehmen wir uns selbst an.
Mit jeder Lebenskrise und der entsprechenden Bewältigung bin ich persönlich gewachsen. Vor allem in dem Wissen, gar nicht so hilflos zu sein, sondern viel stärker wie anfangs gedacht. Damit habe ich meine Resilienz stetig weiterentwickelt und gefördert. (Resilienz von lateinisch resilire – zurückspringen, abprallen – ist der Prozess, in dem Personen auf Herausforderungen und Veränderungen mit Anpassung ihres Verhaltens reagieren)
Heute werfen mich Lebenskrisen nicht mehr komplett aus der Bahn. Ich habe für mich selbst Methoden und Werkzeuge gefunden, mich diesen Krisen zu stellen und sie zu bewältigen.
Auch meine Eltern lächeln heute nur noch, wenn ich ihnen von einer neuen Idee oder Veränderung erzähle, denn sie trauen es mir voll und ganz zu. Weil ich es mir selbst zutraue, mich getraut habe, diesen meinen Lebensweg zu gehen.
In diesem meinem Leben keinen Feind zu sehen, sondern einen Lehrmeister.
Es fängt bei einem selbst an und das ist es, worum es mir mit dieser Kolumne geht.
Den Mut zu haben, die Hoffnung und den Glauben, dass alles in uns selbst steckt!
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