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Das Ende der Karriere vor Augen – und dann?

Erst seit dem späten 18. Jahrhundert und der zunehmend freien Berufswahl, dem Abbau von Standesprivilegien und der Entstehung von Verwaltungsorganisationen und großen Unternehmen ist es allen Menschen möglich, Karriere zu machen. Seither kann man Karrieren als den Versuch ansehen, sich eine Identität aufzubauen. Die Definition von Karriere (von französisch carrière) ist die persönliche Laufbahn eines Menschen in seinem Berufsleben. Umgangssprachlich bezeichnet der Begriff in der Regel einen beruflichen Aufstieg. Den Weg nach oben. Bedeutet das automatisch, dass es am Ende der Karriere nur noch steil bergab gehen kann?

Warum wollen Menschen Karriere machen, im Sinne des beruflichen Aufstiegs?

Der berufliche Aufstieg wird mit Erfolg gleichgesetzt, dem positiven Ergebnis einer Bemühung. Die darin liegt, mit seiner ausgeübten Arbeit und in der Regel viel Engagement, Fleiß und Ehrgeiz zu einem der Besten in dem Bereich zu werden. Bestenfalls ist es eine Arbeit, die einem Spaß macht sowie eigene Talente fördert und Leidenschaften herausfordert. Angefangen bei der Ausbildung, über das Studium, Weiterbildungen bis hin zum täglichem Learning geht es letztlich darum, immer besser zu werden und weiter zu kommen. Karrieren können geplant und manchmal auch gefördert werden. Ob sich die Tür zur nächsten Karriere-Stufe nach oben wirklich öffnet, entscheiden dagegen oft Faktoren wie: An seine Vision zu glauben, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, Fürsprecher zu haben, gesehen zu werden, sich gut präsentieren und überzeugen zu können sowie passende, persönliche Lebensumstände zu haben. Diese Meilensteine, das heißt Momente, in denen sich der weitere Weg entscheidet gehen einher mit externer Bestätigung der eigenen Persönlichkeit, Glücksgefühlen, Einfluss, Macht, finanziell lukrativen Einkünften, gesellschaftlichem Ansehen und sind dadurch auch Antrieb für immer mehr und immer weiter.

Was bringt der Weg nach oben mit sich?

Stehen zu Beginn der Karriere noch Leidenschaft und Freude im Vordergrund und ist das Interesse an der eigenen Person minimal, ändert sich dies mit zunehmendem Aufstieg: Leistungsdruck und Erwartungen steigen. Auf den obersten Stufen der Leiter steht der Karriere-Mensch plötzlich im Mittelpunkt. Sein Verhalten – auch in der Öffentlichkeit – wird kritisch beobachtet. Seine Familie muss sich immer mehr nach seiner verfügbaren Zeit richten, seine Kollegen erwarten von ihm Teamplayer zu sein und seine Geschäftspartner kluge und oftmals harte Entscheidungen. Was alle diese Menschen vereint: Sie müssen Entscheidungen treffen, oft schnell und nahezu immer mit weitreichenden Konsequenzen. Auch für die eigene Karriere. Worüber jedoch meist nicht mehr frei entschieden werden kann, ist der Tagesablauf. Die Tage sind durch getaktet, vieles fremd bestimmt und vorgegeben. Bei einem Fußball-Profi reicht das sogar soweit, dass ihm gesagt wird, welches Outfit er anzuziehen und wann er zu schlafen hat. Dafür sind erfolgreiche Menschen gefragt. Der Unternehmer wird um seine Kontakte, Einflussmöglichkeiten und seine Machtposition beneidet, während mit dem Leben eines Fußball-Profis von außen betrachtet der gelebte Traum verkörpert wird. Den Verzicht auf der anderen Seite, gescheiterte Beziehungen, der Erfolgsdruck und Grenzüberschreitungen in Bezug auf die körperliche Gesundheit werden nicht gesehen. Das Geld möge doch dafür das entsprechende Pflaster sein – mag für den Außenstehenden so wirken, ist aber keinesfalls der alleinige Antrieb. Der liegt meist darin, dass es immer wieder aufs Neue eine Challenge ist, sich zu beweisen, mit anderen zu messen und sein Bestes zu geben. Die Glücksdroge heißt: Erfolg und Bestätigung.

Was, wenn die Karriere zu Ende geht?

Kommt es dagegen zum Karriere-Ende ist es als hätte uns jemand diese Glücksdroge entzogen. Vor allem dann, wenn dieser Moment nicht selbstbestimmt eingetreten ist, etwa durch eine bewusste Entscheidung am gefühlten Karriere-Höhepunkt oder aufgrund des Alters aufzuhören, sondern wenn Krankheit/Verletzung oder Kündigung/ausbleibende Vertragsverlängerung dazu führen, dass die Karriere abrupt, ernüchternd oder traurig endet. So sehr eine selbstbestimmte und bewusste Entscheidung sich von der Karriere zu verabschieden positiv besetzt sein kann. So schwierig ist es in doppelter Hinsicht bei Krankheit oder Verletzung. Hier muss nun nicht nur gegen die Krankheit gekämpft werden, sondern auch mit Gefühlen des Scheiterns sowie Existenzängsten. Eine ausbleibende Vertragsverlängerung oder Kündigung können sich schleichend ankündigen oder abrupt einsetzen. So oder so ist beides erstmal negativ besetzt, da der Selbstwert erschüttert wird. Einhergehend damit, dass die Tatsache im Mittelpunkt zu stehen sowie Bedeutung und Ansehen in der Öffentlichkeit zu genießen recht schnell verloren gehen. Was bleibt ist ein Gefühl von, nicht mehr gebraucht zu werden.

Was kommt nach der Karriere?

Ganz egal wie die Karriere zu Ende gegangen ist, bleibt allen gleich, dass das „alte berufliche Leben“ nicht mehr existiert. Damit einhergehend steht eine große Unbekannte vor der Tür: Die Leere. Diese Leere hängt aber nicht nur mit der fehlenden Aufgabe zusammen, sondern auch damit, im Business nicht mehr wichtig zu sein. Türen öffnen sich nicht mehr von alleine, beim Edel-Italiener wird nicht mehr automatisch ein Tisch frei geräumt, kurzum: Es wird einem weniger bis kaum noch Beachtung geschenkt. Das kann die eigene Identität in Frage stellen. Diese Leere von außen zu füllen, verpufft oftmals viel zu schnell. Geht es jetzt doch genau darum, diese Leere durch jeden Einzelnen selbst und nachhaltig zu befüllen.

Quo vadis?

Die einen sind dankbar, endlich das tun zu können wofür viele Jahre keine Zeit war: Den Tag selbst zu gestalten, zu reisen, Zeit mit der Familie zu verbringen und durch zu schnaufen. Andere widmen sich der Wunsch Erfüllung oder der Verbesserung des Golf-Handicaps. Viele entscheiden sich auch dafür, weiterhin unternehmerisch aktiv zu sein, in dem sie in Start ups investieren, sich weiterbilden oder eine neue Aufgabe im bisherigen Berufsumfeld finden. Egal, für welchen Weg sich der Einzelne entscheidet, selbst nach einer Zeit des Reisens, des sich Ausprobierens oder des einfach mal Abwartens taucht irgendwann – bewusst oder unbewusst – die Frage auf: Wo stehe ich jetzt, wie geht es mir damit und wie geht es weiter für mich? Dieser Blick nach innen birgt eine große Chance, die im Karriere Ende verborgen liegt. Der Wegfall des bisherigen Weges eröffnet neue Möglichkeiten. Nach vielen Jahren des doch auch unterbewussten Funktionierens auf höchster Ebene, dürfen jetzt Fragen gestellt werden wie: Was steckt noch in mir? Was wollte ich schon immer mal machen? Was ist mir wichtig? Wie kann ich mein Potenzial so entfalten, dass sich mein weiteres Leben gut und richtig für mich selbst anfühlt? Bei alledem mit einem entscheidenden Vorteil zum Anfang der Karriere.

Der Spaß darf im Vordergrund stehen, die Leidenschaft und das ohne Erwartungshaltung oder Erfolgsdruck. Die Anreize sind weniger bedeutend, da alles schon mal erlebt wurde und bestenfalls spielt das Geld verdienen nur noch eine untergeordnete Rolle. Allerdings ist es nicht einfach, Antworten auf diese Fragen zu finden. Was nicht heißt, dass derjenige ein Problem hat und Hilfe benötigt, aber es ist wie bei einem verborgenen Schatz, der im Laufe der Karriere immer mehr in den Hintergrund gerückt ist und den es zu bergen gilt. Hierbei kann es hilfreich sein, Impulse von außen zu bekommen. Durch Freunde, Familie, Wegbegleiter oder einen neutralen Coach. All das schafft mehr Klarheit. Geht es jetzt doch darum, etwas Nachhaltiges zu finden. Etwas, bei dem das eigene Herz mitschwingt.

Wichtig ist, den Erfolg in sich selbst zu finden, nicht im Außen. Den Blick nach innen zu richten. Geht es jetzt doch ganz klar um die eigene Identität; und das nicht auf beruflicher Ebene, sondern um die Echtheit der eigenen Person. Das Gefühl, sich selbst als echte Einheit wahrzunehmen, sich selbst wieder wichtig zu finden und zu fühlen. Seine eigene Persönlichkeit zu leben. Wenn dies gelingt, ist die Karriere weder nur der berufliche Aufstieg, noch das Karriere-Ende ein steiler Abstieg. Dann heißt es, neue Ziele zu definieren und den Blick nach vorne zu richten. Wie beim Bergsteigen: Wir fangen unten an, gehen den Berg hoch bis nahe zum oder ganz hoch zum (Karriere-)Gipfel – oben angekommen, geht es wohl ein kleines Stück runter, aber nicht um wieder am Ausgangspunkt zu landen, sondern um Kraft zu tanken für den erneuten Aufstieg. Nämlich auf einen Berg, den wir uns bewusst ausgesucht haben, auf den wir nicht getrieben werden, sondern dessen Aufstieg wir schlichtweg genießen.

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