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Kann man im Trauerfall die „richtigen Worte“finden?

„Dort wo er jetzt ist, geht es ihm bestimmt besser“ war nur einer dieser Sätze, die ich – wohlgemerkt, lieb gemeint – zu hören bekommen habe als mein Bruder verstorben ist. Bezogen darauf, dass ihm seine schwere Krankheit die Lebensgrundlage entzogen hat, mag dieser Satz richtig sein – denn wer wünscht einem geliebten Menschen schon ein krankes Leben voller Leid und Schmerz. Schauen wir uns den Satz jedoch genauer an – neben den Fragen: Wo ist er denn jetzt? Und wer sagt, dass es ihm dort besser geht, getrennt von den liebenden Menschen, die er zurücklassen musste? – bleibt vor allem ein Gefühl haften: Hier will mich jemand trösten und mir das Gefühl geben, nicht traurig sein zu müssen. Aber gegangen ist eben nicht nur der kranke Mensch, sondern mein Herzensmensch, mit dem ich groß geworden bin, der mich bedingungslos geliebt und vor allem unterstützt hat, der Zeit meines Lebens mein großer Rückhalt war. Rational gesehen mag es stimmen, dass er nun nicht mehrleiden muss, aber emotional gesehen, zieht es einem in dem Moment den Boden unter den Füßen weg. Kann es in so einem Moment überhaupt die „richtigen Worte“ geben?

Wie verhält man sich bei einem Trauerfall im Freundeskreis?

Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort, denn jeder Mensch und jeder Trauerfall ist individuell. Aber ich möchte dazu inspirieren, einmal darüber nachzudenken, dass es im Grunde darum geht: Da zu sein. Damit ist nicht die körperliche, sondern vor allem die emotionale Anwesenheit gemeint. Das bedeutet, ehrlich zu sein und aufrichtiges Interesse zu zeigen. Das hilft dem Trauernden. Nicht jedoch, ein Pflichtanruf oder eine eben mal schnell abgeschickte Textmessage mit dem Gefühl, es hinter sich gebracht und seine Aufgabe erfüllt zu haben. Ein Mensch, der einen so schwerwiegenden und vor allem unwiderruflichen Verlust erlebt hat, kann sich genau dann nicht auch noch um die Befindlichkeiten anderer Menschen kümmern. Hier darf daher keine Erwartungshaltung seitens der Freunde vorherrschen, sondern einzig und allein nur echte und aufrichtige Anteilnahme. Denn das Wort sagt es ja schon aus: Seinen Anteil daran nehmen. Für den Trauernden hat sich mit dem Tod und dem Verlust alles verändert, er hat einen lebensverändernden Moment erlebt, einen Schockmoment, den er nie vergessen wird. Er hat viel Kraft aufgewendet, den geliebten Menschen in den Tod zu begleiten, ihn zu verabschieden und damit weiterzuleben – für den Anteilnehmenden hat sich meist nahezu nichts verändert, er hat nur von dem Schockmoment gehört und die einzige Kraft und Zeit, die er aufbringen darf ist die, aufrichtig und ehrlich da zu sein, dem Freund eine Stütze zu sein. Ja, wir umgeben uns lieber mit Menschen, die uns Kraft schenken. Aber in so einer Ausnahmesituation darf der Trauernde einfach mal schwach sein, gerade bei Freunden und gerade dann, wenn sein sonstiges Leben ihm alles abverlangt und jegliche eigene Kraft nahezu aufgebraucht ist. Mag der Trauernde für die anderen genau in so einem Moment stark erscheinen hilft oft schon, einfach einmal nachzufragen: Du scheinst stark zu sein, geht es dir auch so? Wie kann ich dich bei deinem „stark sein“ unterstützen? Und nicht: Wenn es jemand schafft, dann du – und ihn damit alleine zu lassen.

Soll man Trauernde in Ruhe lassen?

Diese Frage hängt zusammen mit der eigenen Angst, sich der Trauer des Freundes oder der Freundin zu stellen und dem Gefühl der Unsicherheit, etwas falsch zu machen. Doch genau darum geht es: Es auszuhalten. Nicht etwa dem Trauernden etwas vorzuschlagen, was letztlich nur die eigene Angst mindert. Schließlich geht es nicht um einen selbst, sondern um den anderen. Daher ist es meiner Ansicht nach das Beste, ohne eigene Interpretation einfach direkt nachzufragen: Was brauchst Du? Willst Du darüber reden? Willst Du weinen und meine Nähe spüren? Willst Du abgelenkt werden? Unser Gegenüber wird uns sagen, ob er seine Ruhe möchte oder dankbar ist für Anteilnahme und Anwesenheit. Sollte der Trauernde auf dieses Angebot in dem Moment keine Antwort haben, selbst nicht wissen was er gerade braucht, könnte das daran liegen, dass er so sehr auf sich selbst fokussiert ist mit seiner Energie, um nicht zusammenzubrechen. Hier hilft, mit einem konkreten Angebot auf ihn zuzugehen: Ich koche gerade, magst du vorbeikommen oder soll ich dir eine Suppe bringen? Ich bin einkaufen, brauchst du etwas? Wir gehen spazieren, magst du mitkommen? Wir gehen mit den Kindern raus, sollen wir Deine Kinder mitnehmen? Sollen wir mal zusammen auf den Friedhof? Wichtig ist vor allem eins, den Fokus nicht nur auf die Anfangszeit direkt nach dem Trauerfall zu legen, denn da ist meist viel los und sind viele Menschen um einen herum. Entscheidender ist die Frage: Wer fragt Wochen, gar Monate oder noch Jahre später einmal nach? Denn eins ist weder der Tod noch die Trauer: Ein temporäres Thema, das irgendwann nicht mehr da ist. Denn was sich für den einen so anfühlt als wäre es schon ewig her, ist für den, der den Verlust erlitten hat, meist noch so greifbar, nah und schmerzhaft, dass es selbst Jahre danach noch schwer ist. Meist wird das schmerzhafte Gefühl, um in der Gesellschaft weiterhin funktionieren zu können und natürlich auch zu wollen, einfach nur zur Seite geschoben.

Wie fühlt sich Trauer an?

Trauer ist ganz individuell und hat viele Facetten. Jeder Mensch trauert anders. Der eine ist still und wortkarg, der andere kann letztlich sogar Positives daraus ziehen und das eigene Leben dankbarer betrachten. Manch einer hat Angst, den Boden unter den Füßen zu verlieren, sobald er Trauer zulässt. Einen geliebten Menschen gehen zu lassen, ihn nie wieder anrufen, umarmen geschweige denn sehen zu können, hinterlässt ein Gefühl der Leere, des alleine zurückgeblieben zu sein und ganz viel Machtlosigkeit. Die damit einhergehende Trauer ist wie eine Wolke, die sich immer mal wiedervor die Sonne schiebt. Wie ein Blitz, der plötzlich ins Herz einschlägt. Wie ein Tsunami, dessen Welle sich unkontrolliert aus dem Bauchraum über die Augen entlädt. Wie Nebel, der sich langsam um einen herum ausbreitet. Oftmals ausgelöst durch einen Gedanken, eine Erinnerung, eine Sinneswahrnehmung, ein spezielles Musikstück – alles kurze Momente, die den Verlust im Kopf gewahr werden lassen und damit den Emotionen den Zutritt gewähren.

Wie kann man am besten mit Trauer umgehen?

Daher ist es auch so wichtig, den Emotionen nicht die Tür vor der Nase zuzuschlagen, sondern ihnen eine Daseinsberechtigung und einen Raum dafür zu geben. Wann und in welcher Form, das entscheidet jeder Einzelne für sich, auch angesichts seiner Lebensumstände. So war es mir vor rund 1,5 Jahren nicht möglich, mich mit dem Thema meiner Trauerbewältigung zu befassen. Zunächst gab es unfassbar viel zu regeln, zu erledigen und keine zwei Monate später wurde ich mit meiner zweiten Krebserkrankung konfrontiert und musste gegen die Krankheit und für ein Leben mit meiner Tochter kämpfen. Mag es für einen Außenstehenden so wirken, dass meine Tochter mein Sonnenschein, mein Anker und auch meine Ablenkung gewesen ist – und das war und ist sie tatsächlich – so war es dennoch unglaublich hart, zu funktionieren und meine Trauer wegzuschieben. Denn das ist keine Lösung, genau so wenig wie sie so schnell als möglich loszuwerden. Trauer geht auch nicht von alleine weg. Und Trauer ist auch nicht nur schlecht. Etwa weil sie schmerzt? Es ist nicht die Trauer an sich, sondern dass ein geliebter Mensch gestorben ist. Das was darauf folgt, ist ein heftiger Prozess, aber er hat seinen Sinn: Durch ihn lernen wir, mit unserem Verlust weiterzuleben. Trauer ist daher eher ein geschützter Raum, den man für einen kurzen Augenblick oder für längere Zeit betritt, der einen etwas von der Außenwelt abschneidet, um ganz bei sich und den Gedanken an den verstorbenen Menschen zu sein. Zu trauern heißt doch nicht, sich gehen zu lassen, nicht mehr auf die Beine zu kommen, schwach zu sein, die Kontrolle zu verlieren oder sonstige Attribute. So konnte auch ich erst in meiner Rekonvaleszenz-Phase spazieren gehen, Orte gemeinsamer Erlebnisse in Stuttgart besuchen und Erinnerungen aufkommen lassen – war da endlich der Raum, meine Gefühle bewusst zulassen zu können. Ich habe viel und immer wieder geweint, mit ihm gesprochen, mich in die Wiese an seinem Grab gesetzt und ich habe ihn gezeichnet – mit einem Bleistift. Jede Linie seines Gesichts, seine Lachfalten, seine warmen Augen – jedes noch so kleine Detail wahrgenommen, ihn nachgezeichnet und in mir verankert. Seither gehört das Trauern zu mir und in mein Leben. Es ist wie am Lebenshaus angebaut zu haben. Nein, kein Wintergarten, aber ein Trauer-Raum. Ein Ort in mir, den ich betrete wann immer mir danach ist, den ich mir jedes Mal ein Stück weit schöner einrichte und durchaus auch mal einen guten Freund mit hineinnehmen kann.

Was sagt man zu einem Trauernden?

Da wäre zunächst die Frage, was möchte ich denn sagen und aus welchem Blickwinkel betrachtet? Aus meinem eigenen oder dem des Trauernden? Sätze wie: Du musst jetzt stark sein. Die schönen Erinnerungen bleiben. Sei dankbar für das was ihr zusammen erlebt habt – die helfen nicht weiter. Denn ja, ich bin schon wochenlang stark und ja, ich bin dankbar und habe unzählige Erinnerungen – aber was genau ändert das daran, dass ich jetzt gerade traurig bin und der Tod ein Schock gewesen ist. Es geht im Gegenteil genau darum, in meinem Schmerz gehört und verstanden zu werden. Nur dann fühle ich mich auch aufgefangen. In dem Moment ist mein Gegenüber mein Spiegel, der mir hilft, die Realität des Verlustes vor Augen zu halten und nicht sie mir weg zu reden. Denn auch wenn sich das viele Menschen wünschen und unbedacht dahin sagen: Es wird nichts „wieder gut“, wenn jemand gestorben ist. Trauernde Menschen sind im wahrsten Sinne des Wortes untröstlich. Daher geht es nicht darum, sie aufzumuntern. Was sie brauchen ist eine Person, die bei ihnen bleibt und ihren Schmerz aushält. So heftig er auch sein mag. Das klingt einfach, ist es aber nicht – weil es uns schmerzt, Menschen leiden zu sehen, an denen uns etwas liegt.

Wie findet man die „richtigen Worte“?

Für mich persönlich gibt es keine richtigen Worte, nur das richtige Gefühl dahinter. Kurz innehalten, in sich reinhören und ehrlich sein. Angebote an den Trauernden nur dann zu formulieren, wenn sie auch so gemeint sind und derjenige wirklich da sein und Anteil nehmen kann. Sonst ist es allemal besser, auch einmal zuzugeben, keine Worte zu finden oder im Moment nicht da sein zu können. Mit dem Gefühl von Ehrlichkeit kann der Trauernde viel besser umgehen. Mir hat zudem geholfen, dass mir Menschen gesagt haben warum sie meinen Bruder vermissen, was sie an ihm bewundert, geliebt und in ihm gesehen haben. Was ihn hat einzigartig sein lassen. Damit haben sie ihm und auch mir eine ungeheure Wertschätzung zukommen lassen. Denn wie schon gesagt geht es nicht darum, die Trauer wegzuwischen, sondern zu begleiten. Die richtigen Worte findet man daher nur, wenn man sich seiner eigenen Angst und Unsicherheit stellt. Im Zweifel sind ein paar wenige Worte wie – es ist schlimm, unglaublich traurig -so viel tröstlicher als alles andere. Meist geht es eben nicht darum was man sagt, sondern darum, ob das wie einer von Herzen kommenden Umarmung gleicht. Denn so wusste schon Johann Wolfgang von Goethe „Es muss von Herzen kommen, was auf Herzen wirken soll.“


Worte voller Emotion. Wenn das Herz spricht.

Einer meiner Antriebe zu MIT HERZ UND ANKER war deshalb genau der, den Menschen mit Ehrlichkeit zu begegnen und mein Herz sprechen zu lassen. In unserer Gesellschaft geht es immer mehr um Individualität in jedem noch so bedeutenden Lebensmoment: Vom Baby und seiner freien Taufe mit Willkommensfeier, über die freie Trauung mit Hochzeitsfeier bis eben hin zum Tod. Gerade hier entwickelt sich immer mehr der Wunsch in Richtung freier Zeremonien mit freien Rednern und Trauerfeiern, die Lebensfeiern genannt werden. Genau an der Stelle möchte ich als Wegbegleiterin in den Tod & freie Rednerin unterstützen.

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